Der Schatten des Pfarrers

Der junge Mesner Anton Birnbaumer verlässt am 3. Juni 1755 Wilen in Richtung Brixen und kehrt nach Maria Himmelfahrt in Begleitung Valentins, eines halbwüchsigen Burschen, von der langen Wanderung zurück. Eine schlechte Nachricht erwartet ihn: Sein Dienstherr wird ihn entlassen! Während Antons Urlaub sind Pfarrer Holzknecht allerhand Gerüchte zugetragen worden. Wird sich der Mesner wehren, da er weiss, wer ihn angeschwärzt hat? Noch hat er einen Trumpf in der Hand, denn unterwegs fand er Puzzleteilchen, die zur geheimnisvollen Geschichte der Muttergottes auf dem Seitenaltar in der Wilener Pfarrkirche passen. Da gab es zum Beispiel die neugierige Contessa Margareta di Boccarini, die von der noblen Gesellschaft in Bozen ausgegrenzt wird, oder der Generalvikar, der sich am liebsten die Zunge abgebissen hätte. Von Kunstmaler Giovanni Trapunt liess sich auch das eine oder andere entlocken.

Der Arm der allmächtigen Kirche reicht Mitte des 18. Jahrhunderts weit. Doch die Aufklärung lässt sich nicht mehr aufhalten. Doktor Thomas Holzknecht, der den neuen Zeitgeist als Weltgeistlicher in seinen Salons vertritt, ist zugleich ein Gefangener des Machtsystems. Sein Kartenhaus darf nicht zusammenfallen. Das Drama spitzt sich mehr und mehr zu.

Farbenprächtig-barock vermischt sich das Sakrale mit dem Profanen in Andreas Itens Roman. Die Leserin geht mit, über schwankende Stege, enge Brücken und abgrundtiefe Schluchten und verweilt mit dem Hauptprotagonisten auf dem nicht immer sicheren Boden in Bozen und Brixen. Der Schatten des Pfarrers wird zu einem Abbild eines Übergangs, in dem sich die heutige Situation spiegelt, wenn reaktionäre Repräsentanten versuchen, die katholische Kirche der Schweiz vermehrt auf Rom-Kurs zu bringen.

 

Der Schatten des Pfarrers

Verlag Martin Wallimann, 2008. 220 Seiten, Fr. 32.—.
ISBN 978-908713-79-1

Rezensionen:

 

Maria lässt den Pfarrer weinen. Urs Bugmann, NLZ

Maria lässt den Pfarrer weinen

Der neue Roman des Zuger Autors Andreas Iten spielt im Jahr 1755. Er schickt einen Mesner auf die Suche nach der Geliebten seines Pfarrers.

«Es wird Zeit, endlich offen über diese Priesterlieben zu sprechen.»
Andreas Iten

Die Tränen des Pfarrers vor dem Marienbild machen Anton Birnbaumer stutzig. Er will die Wahrheit finden und lernt die Macht der Kirche kennen.

Anton Birnbaumer ist Mesner in Wilen. Dort hängt in der Kirche über dem Seitenaltar ein Marienbild. «Die gemalte Maria mit dem Jesuskind auf dem Seitenaltar strahlt Lebenskraft aus, doch der leidvolle Ausdruck harmoniert nur wenig mit dem dargestellten Glück einer Mutter, auch wenn die Augen, die das Kind betrachten, leuchten. Welch ein Gegensatz zur lieblichen Muttergottes auf dem Hochaltar! Wahrscheinlich war es eine Südländerin gewesen, die dem Maler Modell gestanden hat. Eine auffallend schöne Frau. Die kräftige Nase fängt das fein geformte Kinn auf und mildert den starken Zug. Der Mund ist leicht geöffnet, als singe sie dem Kind ein Liedchen.»

Spurensuche im Tirol

Pfarrer Holzknecht betet oft vor diesem Marienbild. Wiederholt beobachtet ihn Mesner Birnbaumer dabei, wie er sich verstohlen Tränen aus dem Gesicht wischt. Anton Birnbaumer entdeckt unten am Bildrand Teile der Signatur und den Ortsnamen Brixen. Er fragt beim Pfarrer nach und erfährt, dass Giovanni Trapunt das Bild gemalt hat. Er, Holzknecht selber, habe ihm den Auftrag dazu erteilt.

Die unbeantworteten Fragen lassen Birnbaumer keine Ruhe: Er will ihnen nachgehen und macht sich auf die Reise. Am 3. Juni 1755 bricht er auf, Richtung Schwyz und Flüelen. Über die Berge will er nach Disentis gelangen, durchs Bündnerland ins Tirol. In Brunnen spricht ihn ein Mann an, der wie er aufs Schiff nach Flüelen wartet. Er transportiert Säuglinge nach Mailand, wo er sie zum Findelhaus bringt. «Es sind Würmer, unehelich geborene Kinder, die da verschwinden sollen, von gnädigen Herren, ja, von Pfarr- und Ratsherren gezeugt.»

Leidvolles Versteckspiel

Schon auf den ersten zehn Seiten seines neuen Romans «Der Schatten des Pfarrers» hat Andreas Iten (72), einstiger Regierungsrat und Ständerat des Kantons Zug und heutiger Präsident des Innerschweizer Schriftstellerinnen- und Schriftstellervereins, sein Thema angeschlagen. Es geht ihm um katholische Priester, die an den Pflichtzölibat, die Ehelosigkeit, gebunden sind und sich verlieben, um die Frauen, die unter dem Versteckspiel in einer solchen Beziehung leiden, und um die Kinder, die solchen unerlaubten Liebesbeziehungen entstammen. Das Modell der Maria war die Geliebte des Pfarrers. Er liess sie mitsamt ihren Kindern porträtieren.

Im historischen Gewand

«Es wird Zeit, endlich offen über diese Priesterlieben zu sprechen», sagt Andreas Iten. «In meinem Bekanntenkreis habe ich in letzter Zeit ein paar solche Fälle kennen gelernt.» In seinem Roman verkleidet der Autor das Problem in eine historische Geschichte, die sich an die Geschichte der Pfarrei von Unterägeri anlehnt, die Andreas Iten nach ihrem alten Namen Wilen nennt. Der Protagonist Anton Birnbaumer ist als Nachfahr des späteren Tagsatzungsabgeordneten und Landammanns Johann Anton Kaspar Birnbaumer nicht nur historisch verbürgt, sondern auch mit dem Ruf überliefert, er habe die Bevölkerung im Ägerital mit aufklärerisch-liberalem Gedankengut beeinflusst.

Dieses Gedankengut spielt in dem Roman eine zweite Hauptrolle: Anton Birnbaumer begegnet auf seiner Fussreise nach Brixen einem Benediktinermönch, der sich über seine ketzerischen Gedanken entrüstet und ihn bei den Kirchenobern anschwärzt. Birnbaumer muss den Kirchendienst quittieren und wird auch kein weltliches Amt mehr erhalten.

Aus grosser Sympathie

Andreas Iten hat die Auseinandersetzung mit den Glaubensfragen und sein Anliegen, über die verbotenen Liebschaften und ihre Kinder zu reden, geschickt in die historische Erzählung eingeflochten. Lebendig schildert er Leben und Denken in der Epoche der frühen Aufklärung im 18. Jahrhundert, eine Generation vor der Französischen Revolution. Farbenreich und aus grosser Sympathie mit seinem Helden schildert er dessen Erlebnisse und Abenteuer, die durchaus nicht immer nur kirchlich und keusch sind.
In kursiv gesetzten Passagen gibt der Autor dabei Einsicht in seine eigene Reise auf den Spuren seiner Romanfiguren. Diese Seitenblicke in die Schreibwerkstatt vermögen den Leser nicht immer von ihrer Notwendigkeit zu überzeugen, und zuweilen stören sie die atmosphärisch geschlossene Erzählung in ihrem glaubwürdigen Zeitkolorit.

«Der Schatten des Pfarrers» bietet dennoch eine spannende Geschichte und zeugt von einer langen und intensiven Auseinandersetzung mit den angesprochenen Fragen und Problemen. Zwanglos bindet der Autor seine Erörterungen in die Handlung ein, indem er seine Figuren in Zwiegespräch und Disput belauscht.

Urs Bugmann, Neue Luzerner Zeitung, 04.11.2008

Was ein Marienbild auslöst. Markus Mathis Neue ZZ

Er habe eine «Kampfschrift gegen das Pflichtzölibat» geschrieben, sagt Andreas Iten. Den Anstoss dazu fand er auf dem Gubel.

von Markus Mathis

Was ist Andreas Iten (72) in seinem Leben nicht schon gewesen? Lehrer, Autor von Fachliteratur, Gemeindepräsident von Unterägeri, Kantonsrat, Regierungsrat, Landammann, Ständerat, Parteipräsident, Kulturfunktionär und Schriftsteller.
«Gibt es eigentlich zwei Andreas Iten?» fragte ihn deswegen Schriftstellerkollege Thomas Hütlimann (57) während der Vernissage seines neusten Romans im Burgbachkeller in Zug. Vielleicht habe er neben dem Politiker und dem Schriftsteller noch ein weiteres Gesicht, meinte Iten, der als Autor ebenso produktiv wie facettenreich
ist.

«Das kann die Phantasie anregen»

Sein neustes Buch «Der Schatten des Pfarrers» ist ein historischer Roman, in welchem ein Mesner aus Wilen – so hiess Unterägeri im 18. Jahrhundert – durch die Alpen ins Südtirol wandert, um ein Geheimnis zu lüften. Jenes eines ausdrucksstarken Marienbilds, vor dem er den Pfarrer häufig beten und weinen sieht (siehe Buchbesprechung in der Dienstagsausgabe). Gestern verriet Iten, was ihn zu dieser Geschichte inspiriert hat. Zum einen das Marienbild auf dem rechten Seitenaltar der Schlachtkapelle auf dem Gubel. «Ich habe mich oft gefragt: Welche Frau hat hier Modell gestanden?» Zum andern eine Passage über die Errichtung der Pfarrei Unterägeri aus dem Buch «Ägerital – seine Geschichte». Pfarrer Bernhard Fliegauf bezahlte damals das Pfarrhaus und die Marienkirche zum Teil selbst.
Aus welcher Quelle das Geld stamme, sei laut Historiker Renato Morosoli nicht bekannt. «Das kann die Fantasie natürlich anregen», meinte Iten.

Witze mit Tiefgang

In einem Werkstattgespräch plauderten Hürlimann und Iten locker über die Hauptfigur, dessen lange Wanderung auch eine Reise zu sich selbst ist. «Das ist ja wieder in Mode. Schauen wir nur das Pilgern nach Santiago de Compostela an», sagte Iten und fügte ein Schriftstellerzitat an: «Es würde den Menschen besser gehen, wenn sie mehr gingen.» Hürlimann konterte mit Nietzsche: «Jedem Beschluss ist zu misstrauen, wenn er nicht im Gehen gefasst wird.» Es sei «ein reiches Buch», das er mit Spannung gelesen habe, urteilte Hürlimann. Auch ein Buch über den Glauben, über die letzten Dinge. Dazu wollte Iten aber nicht konkret werden. «Es ist eine Kampfschrift gegen das Pflichtzölibat in der katholischen Kirche» sagte Iten. «Deswegen habe ich es geschrieben.»